Was Nationalgerichte über Länder aussagen
Eine Reise ist auch immer gleichzeitig ein Streifzug durch eine fremde Küche. Liebe geht bekanntlich ja durch den Magen und wie lernt man besser ein Land, dessen Kultur und seine Menschen kennen, als bei einem gemütlichen und geselligen, traditionellen Mittag- oder Abendessen? Die Italiener sind bekannt für ihre Pizza und in Spanien muss man unbedingt Paella gegessen haben. Viele Länder haben ihre „Nationalgerichte“. Manche Nationalgerichte sind jedoch durchaus ungewöhnlich und haben eine lustige oder außergewöhnliche Entstehungsgeschichte. Ich werde auf meinen Reisen immer öfter gefragt, was nun das deutsche Nationalgericht sei. Eine Frage, auf die ich noch keine Antwort gefunden habe.
Nationalgerichte sind Speisen, die ein Land oder eine bestimmte Region eines Landes widerspiegeln sollen. Oft sind sie jedoch eher ein Kulturgut oder ein Überbleibsel alter Zeiten, Bräuche und ökonomischer Umstände und sagen nicht viel über die aktuelle Beliebtheit des Essens in der Bevölkerung aus.
Meist sind Nationalgerichte weit über die Grenzen eines Landes hinaus bekannt. In Österreich isst man das berühmte Wiener Schnitzel mit Erdapfelsalat und Tafelspitz und in Kroatien sind es die mittlerweile bei jedem Sommergrillen beliebten Cevapcici. Auch das schweizerische Käsefondue und das schwedische Köttbullar – die Hackfleischbällchen, die es in jedem Ikea-Markt zu essen gibt – haben es als stolze Vertreter ihrer jeweiligen Landesküchen und unter dem Ansehen nationaler Beliebtheit auf die internationalen Speisekarten geschafft.
Was ist beispielsweise das englische Nationalgericht?
Aber nicht immer ist es das Nationalgericht eines Landes, das internationale Beliebtheit erlangt und nicht immer gelten die bekanntesten oder begehrtesten Gerichte eines Landes als dessen Nationalgericht. Manche Speisen würde man nie als Nationalgericht in Betracht ziehen, andere sind für unsere westlichen Mägen und Geschmäcker auch einfach nicht genießbar, weshalb ihnen die internationale Anerkennung erspart geblieben ist. Was ist beispielsweise das englische Nationalgericht?
Wer nun meint ‘Fish and Chips‘, ‚Black Pudding‘ oder ganz klassisch ‚Ist doch klar, das volle English Breakfast’, hat falsch gedacht. Genauso hätte ich auch geantwortet, bevor ich eines Besseren belehrt wurde. Vielleicht ist es ja der traditionelle Sunday Roast oder doch etwa der Afternoon Tea mit Scones? Wieder falsch.
Wer kennt das britische Nationalgericht?
Das britische Nationalgericht ist das Chicken Tikka Masala, ein Curry aus mariniertem gegrilltem, Hähnchenfleisch (Chicken Tikka) in einer würzigen Tomatensoße. Wie genau das Gericht entstanden ist, ist unklar. Currys sind normalerweise der indischen Küche zuzurechnen. Chicken Tikka Masala ist jedoch ein rein englisches Gericht und in Indien selbst ist es unbekannt.
Seit fast 70 Jahren ist es der Spitzenreiter und das beliebteste Gericht der Brit*innen und hat schon lange Fish and Chips auf den zweiten Platz verbannt. Das ist ein perfektes Beispiel für die Assimilierung und das Verschmelzen von Kulturen.
Auch das deutsche Nationalgericht ist eher unbekannt. Ich werde auf meinen Reisen immer wieder danach gefragt und mir kommt zuerst die Currywurst, Sauerkraut und Grüne Soße in den Sinn. Wobei Letzteres schon zu regional ist und nicht häufig gegessen wird, was Bestandteil der Wortdefinition von Nationalgericht ist.
Auf den Spuren der Kultur
Damit ein Essen zum Nationalgericht wird, setzt es laut Duden voraus, dass es landespezifisch ist und besonders häufig gegessen wird. Das trifft auf das englische Chicken Tikka Masala absolut zu, obwohl es augenscheinlich zwar nicht traditionell-historisch britisch ist, jedoch im Lande durch die Einflüsse anderer Kulturen entstanden ist und reichlich konsumiert wird.
Sind also Bratwurst und Pommes oder Döner deutsche Nationalgerichte? Die gibt es zumindest an jeder Ecke zu kaufen und füllen tagtäglich die Mägen tausender Deutscher. Sie sind jedoch keine „deutschen Gerichte“. Viele Medien und Onlineforen führen immer wieder Eisbein, Sauerbraten oder Schlachtplatte mit Sauerkraut als Nationalgericht an, doch wirklich viel gegessen werden diese herzhaften Gerichte immer weniger von der breiten Masse. Auch wenn man sich beim Fleisch uneinig zu sein scheint, Sauerkraut (fermentierter Weißkohl) gilt immer noch als typisch deutsche Beilage. Vielleicht ist Sauerkraut also unser deutsches Nationalnahrungsmittel, eine Speise an sich ist es noch nicht.
Doch kann man es als Beilage oder frisch als Krautsalat genießen. Auch wenn es heute nicht mehr allzu populär unter jungen Menschen ist, hat das Kraut eine lange Geschichte. Das uralte Superfood hat schon so manchen Familien über karge Winter geschafft und viele Menschen nach beiden Weltkriegen mit überlebenswichtigen Nährstoffen versorgt, denn es enthält lebendige probiotische Milchsäurebakterien, die das Vitamin B12 herstellen und weitere wichtige Nährstoffe, die uns Energie, Kraft und Gesundheit verleihen.
Vielleicht müssen alle, die mich fragen sich einfach damit abfinden, dass Deutschland – wie viele andere Länder auch (!) – kein Nationalgericht hat, da die Esskultur viel kleinräumiger ist als das Gesamtterritorium, in dem man die gleiche Sprache spricht. Dies gilt auch für Russland. Das Land ist so großflächig, dass es im Norden, Süden, Osten und Westen unterschiedliche Küchen und Kochstile gibt, die sich nicht in einem Nationalgericht vereinen lassen.
Sauerkraut gibt’s auch anderswo
Einzelne Gerichte und Zutaten der russischen Küche wie Kaviar, Salzgurken, Wodka und Schaschlik sind weltbekannt und in vielen Gerichten wie Kohlrouladen und Schtschi, einer Kohlsuppe und einem der vielen russischen Nationalgerichte, ist wieder unser Sauerkraut zu vorzufinden.
Ansonsten zählen auch die russischen Teigtaschen (Pelmini) und der Buckellachs aus dem Osten zu den gesamtrussischen Nationalgerichten. Diese spiegeln jedoch nur im kleinen Teil die große Vorliebe der russischen Küche für gefüllte Teigtaschen, Brei, Pilz- und Fischgerichte sowie Suppen und sauer eingelegtes Gemüse. Viele russische Gerichte haben es wegen des Eisernen Vorhangs erst spät oder noch gar nicht in die Herzen anderer Foodies geschafft.
In allen Nationalgerichten, wie beliebt sie nun auch sein mögen, bringen sich die Kultur und Geschichte eines Volkes oder einer bestimmten Region zum Ausdruck. Darum nimmt Fleisch bei den meisten europäischen und mittel-östlichen Ländern einen besonderen Platz in der nationalen Küche ein. Zu religiösen oder familiären Festen hat man oft ein Tier geschlachtet und das Fleisch als Hauptmahlzeit zubereitet. Welche Tiere man schlachtete, war eine Frage des Glaubens, des Nutzens der Tiere und der Verfügbarkeit.
Gerichte, die es nie auf die internationalen Speisekarten schaffen werden
In Kirgistan beispielsweise ist es traditionellerweise ein Hammel. Beliebt sind aber auch Rind- und Pferdefleisch. Vor allem die Gerichte aus Pferdefleisch gelten als Delikatesse. Sie werden jedoch nur selten zubereitet, da Pferde zum Schlachten zu wertvoll sind. Als kirgisisches Nationalgericht gilt Beschbarmak, Nudeln durchmischt mit frisch geschlachtetem Fleisch. Übersetzt bedeutet es so viel wie „Fünf Finger“, da man es klassischerweise mit der Hand, also fünf Fingern, isst.
Auch gerne gegessen wird der Hammel- oder Schafskopf. Der Kopf wird einzeln gekocht und mit den Händen gegessen. Bekommen Gäste den Kopf zum Essen gereicht, gilt das als große Ehre. Wieso eines dieser Gerichte nicht zum Nationalgericht geworden ist? Zum einen sind sie zu „extravagant“ und zum anderen genießt es nicht jeder Mensch, Fleisch von einem Schädel abzunagen.
In Küstenregionen oder Inselstaaten ersetzen Meeresfrüchte oft das Fleisch in den Mahlzeiten, das zeigt sich auch in den Nationalgerichten. In Spanien und Griechenland bekommt man neben Churros und Tapas oder Gyros auch viel Fisch serviert. Für die Einwohner der Bahamas sind Meeresfrüchte praktisch Grundnahrungsmittel. Darum ist das Nationalgericht der Insel Conch, eine rosafarbene Meeresschnecke. Sie kann entweder roh mit Zitronensaft und Salz, frittiert oder als Beilage zu Suppen oder in Salaten gegessen werden.
Was sagen Nationalgerichte also über ein Land aus?
Nationalgerichte können also ganz verschieden sein und mal mehr und mal weniger über ein Land und dessen Traditionen aussagen. Wenn ihr also ein Land kulinarisch entdecken wollt, haltet euch lieber an die Empfehlungen der Einheimischen als an irgendwelche Internetforenbeiträge oder Reiseführer. Oft gibt es mehr zu entdecken, als das Essen, das gerade international gehypt wird. Außerdem gibt es immer mehr als ein „Nationalgericht“! Doch häufig steckt eine sehr interessante Geschichte hinter jeder Speise. Fragt also nach, bevor ihr genüsslich zulangt.
Was ist nun das deutsche Nationalgericht? Für mich ist es unser Brot (als „vollwertiges Gericht“ dann eben eine belegte Schnitte). Das ist, worauf ich in der deutschen Küche besonders stolz bin. Denn nirgendwo anders auf der Welt habe ich so leckeres und vielfältiges Brot gegessen.